Badisches Landesmuseum Karlsruhe



"Von Sokrates bis Ai Weiwei - Meinung hat (k)eine Freiheit"
in der Sammlungsausstellung "WeltKultur / GlobalCulture"

Im jährlichen Wechsel präsentiert das Badische Landesmuseum innerhalb seiner jüngsten Sammlungsausstellung "WeltKultur / GlobalCulture"
zeitgenössische Positionen. Nach "Hüsun", einer melancholisch-poetischen Rauminstallation über das Heimweh, geht es in der neuesten
Ausstellung "Von Sokrates bis Ai Weiwei" nun ganz tagesaktuell um die Meinungsfreiheit – pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit!
Die Besucher sind aufgefordert in einen Dialog einzutreten: zwischen einer antiken Statuette des großen Philosophen Sokrates, der einst wegen
unliebsamer Äußerungen den Schierlingsbecher nehmen musste, und einer Ai Weiwei-Skulptur des Landshuter Künstlers Richard Hillinger...

Karlsruhe, 2.10.2015 (BLM) – "Wir haben die Kunst, um nicht an der Wahrheit zu Grunde zu gehen", sprach Nietzsche,
und seine Worte scheinen weniger denn je an Aktualität verloren zu haben: ein dreiviertel Jahr nach dem Anschlag auf die Pariser Redaktion von Charlie Hebdo,
5 Jahre nach dem Ausreise- und Berufsverbot des iranischen Filmregisseurs Jafar Panahi, 4 Jahre nach der Inhaftierung des chinesischen Konzeptkünstlers
Ai Weiwei, 25 Jahrhunderte nachdem Sokrates den Schierlingsbecher nahm …

Pünktlich zum Jahrestag der Deutschen Einheit wird in der Sammlungsausstellung "WeltKultur/Global Culture" eine neue Studioausstellung präsentiert.
Jenseits von Zeit und Raum begegnen sich zwei Querdenker, vertieft im Dialog miteinander und offen für Andersdenkende: Sokrates und Ai Weiwei.
In Stein gemeißelt der eine, in Bronze gegossen der andere, erinnern sie an den radikalen Gedanken, dass die Freiheit der Rede und der Kunst zeitlos ist.

Als mahnende Botschaft und symbolischen Akt schickt der Landshuter Künstler Richard Hillinger seinen Ai Weiwei auf Reisen, um an die Wahrung der
Menschenrechte und der Meinungsfreiheit zu appellieren. Nach Stationen in Nürnberg, Koblenz, Heilbronn und Leipzig ist er nun in der Residenzstadt
des Rechts angekommen. Gäste in Karlsruhe sind sie beide: die Statuette des Ai Weiwei für ein Jahr, die des Sokrates aus dem Thermenmuseum in Rom
für unbestimmte Zeit. Eingebunden in eine partizipative Installation fordern sie zum Mitmachen auf.

Unsere Besucher und Besucherinnen sind herzlich dazu aufgefordert, an diesem Solidaritätsprojekt teilzunehmen und ihre Meinung frei zu äußern.
Denn im Badischen Landesmuseum ist "die Kunst, die Tochter der Freiheit" (Schiller), daheim!

"Von Sokrates bis Ai Weiwei – Meinung hat (k)eine Freiheit"
Studioausstellung in der Sammlungsausstellung "WeltKultur/GlobalCulture ab 2. Oktober 2015,
WeltKultur/Global Culture, Schloss Karlsruhe

Eröffnung: Im Rahmen des Happy Friday am Fr, 2.10., 16 Uhr,
mit Dr. Schoole Mostafawy (Kuratorin) und Dr. Sarah Hoke (Kulturvermittlung)

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Einführung anlässlich der Studioausstellung in der Sammlungsausstellung "WeltKultur/GlobalCulture"

"Von Sokrates bis Ai Weiwei – Meinung hat (k)eine Freiheit"

Pünktlich zum 25. Jahrestag der
Deutschen Einheit
wird in der Sammlungsausstellung "WeltKultur/Global Culture" eine neue Studioausstellung präsentiert.
Hier begegnen sich zwei eigenwillige Köpfe, vertieft im Dialog miteinander und offen für Andersdenkende: Sokrates und Ai Weiwei. In Stein gemeißelt der
eine, in Bronze gegossen der andere, stehen sie für die Freiheit der Rede und der Kunst. Auch erinnern sie daran, dass mutige Menschen weltweit nach dem
Wort, der Schreibfeder oder dem Pinsel greifen, um auf Missstände in der Politik und Gesellschaft aufmerksam zu machen. Längst haben die neuen Medien,
allen voran das Handy, die einstigen Mittel zur Äußerung der Meinungsfreiheit abgelöst. Dafür stehen seit 2009 die Revolutionen in der Islamischen wie
vielerorts auf der Welt.

Zeitlos und global zugleich, gehört demnach der Kampf für die Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit – ganz klar – zu unserer Sammlungsausstellung
"WeltKultur/GlobalCulture" – ein Thema, dass in den präsentierten zeitgenössischen Arbeiten von Sonia Kallel, Faten Rouissi und Khaled Ben Slimane aus
Tunesien genauso aufgegriffen wird wie in der Wandinstallation der iranisch stämmigen politischen Künstlerin Parastou Forouhar.

Die Statuetten des Sokrates und des Ai Weiwei gehören nicht zum Bestand des Badischen Landesmuseum. Es handelt sich vielmehr um Leihgaben. So gelangte
die sitzende Statuette des Sokrates im letzten Jahr als Gegenleihgabe zu dem Relieffragment mit dem Kopf des römischen Gottes Mithras aus dem Thermenmuseum
in Rom zu uns. Die Statue des Ai Weiwei von Richard Hillinger dagegen ist eine Leihgabe auf Zeit, genau genommen für die Dauer dieser Studioausstellung für ein Jahr.
Insgesamt sechs Statuen dieser Art sind quer durch die Republik und weit darüber hinaus im Umlauf. Der Landshuter Aktionskünstler Hillinger schickt diese
Arbeiten seit 2012 auf Reisen, appelliert damit an die Wahrung der Meinungsfreiheit und versteht seine Aktion als Solidaritätsprojekt.
Seit diesem Jahr wird die Statue von Strohhalmen in den Farben der Trikolore umspielt und gemahnt an die Ereignisse im Januar dieses Jahres in der Pariser
Redaktion Charlie Hebdo.

Viele Stationen hat sie schon während ihrer Wanderung durchlaufen: Sie war in Nürnberg, Koblenz, Heilbronn, Jena und Leipzig, in Ludwigshafen, Regensburg
und München. Zu sehen war sie nicht nur in Museen und Sammlungen wie im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, im LudwigMuseum Koblenz, in der Glyptothek
München oder in der Friedrich-Schiller-Universität Jena, oft im Dialog mit anderen Werken aus unterschiedlichen Epochen, sondern auch in Amtsstuben, etwa
beim Kulturstaatssekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur von Rheinland-Pfalz Walter Schumacher oder bei dem bis 2013
amtierenden bayerischen Staatsminister Dr. Wolfgang Heubisch, bei der Staatsministerin im Freistaat Sachsen Prof. Sabine von Schorlemer, beim OB Bertram Hilgen
in Kassel, bei Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, oder in den Büros der "Heinrich-Böll-Stiftung" in Brüssel – um nur einige zu nennen.
Mit der Taube in der Hand war sie auch 2011 auf der Biennale von Venedig zu sehen. Nun ist sie hier in Karlsruhe, der Residenzstadt des Rechts, angekommen.

Zusammen mit der Abteilung Kulturvermittlung in unserem Haus haben wir wie in jedem Jahr, so auch in diesem aus der Aktion eine kleine Studioausstellung für unsere
Sammlungsausstellung konzipiert. Ai Weiwei im Dialog mit dem griechischen Philosophen Sokrates – zwei Frei- und Querdenker jenseits von Zeit und Raum.

Sokrates – ethisches und freiheitliches Denken – Zeitlosigkeit und Aktualität eines antiken Philosophen

Sokrates, der vor 25. Jahrhunderten, im 5. Jh. v. Chr. (469-399 v.Chr.) im antiken Athen lebte und wirkte, ist zweifellos einer der berühmtesten Menschen des
Altertums.
Ihm verdanken wir ein grandioses und aktuelles geistiges Erbe, eine Philosophie, in deren Mittelpunkt der Mensch als ethisch handelndes, prinzipiell gutes und
gerechtes Wesen steht – diese (freigeistige und menschenfreundliche) Denkart markiert zugleich einen der bedeutendsten Wendepunkte der abendländischen Philosophie.
Nach heutigem Empfinden könnte man Sokrates einerseits als Philanthropen, Idealisten und Weltverbesserer, vielleicht gar als Sozialrevolutionär oder auch als
Patriot und Märtyrer betrachten.
Denn Sokrates ist ein Fanal im Jahrtausende währenden und immer noch aktuellen Konflikt um die Würde des Menschen, Selbstbestimmung, Gedanken- und Meinungsfreiheit,
(in der Retrospektive) auch für Religionsfreiheit, eigentlich auch um Freiheit an sich.

Sein Leben war dem Kampf für das Gute im Menschen gewidmet und für diese Überzeugung und dieses Ziel, ging er auch in den Tod.
Mit seiner ethischen Philosophie wollte Sokrates in einer Zeit allgemeiner politischer und moralischer Destabilisierung zeigen, wie man zu einer neuen
gesellschaftlichen und geistig-ethischen Stabilität finden könne.
Zu individuellem und – in der Konsequenz – kollektivem, gemeinschaftlichem Lebensglück gelange man nur, so Sokrates, wenn man sich nicht an äußeren –
heute würde man sagen narzisstisch-egoistischen oder kapitalistischen – Dingen (wie Geld, Erfolg, Status, Prestige) abarbeite.
Stattdessen solle die primäre Sorge des Menschen seiner Seele und deren gutem und richtigem Handeln gelten, nur so gewinne man sein Seelenglück.

In der Praxis realisierte Sokrates seine Philosophie, indem er eine berüchtigte didaktische Methode erfand. Er flanierte, begleitet von einer Horde
von Philosophie-Schülern, durch die Straßen Athens und verwickelte die (jungen) Leute in Gespräche, bei denen er mit von ihnen zu
beantwortenden Fragen ihr vermeintliches Wissen als Scheinwissen entlarvte und sie so lange traktierte, bis sie das – nach seiner Ansicht– in ihnen
angelegte Wissen um das Gute, also das Wesentliche des menschlichen Daseins, selbst herausfanden.
Legendär der in diesen Kontext gehörende, zutiefst freiheitliche Ausspruch des Alles- und Besserwissers: "Ich weiß, dass ich nichts weiß" – ein Satz, der die
Begrenztheit und Relativität menschlichen Denkens und Wissens aufzeigt.
Die beschriebene Methode, mit der er offenbar einerseits sehr erfolgreich war – vielleicht, wie man heute sagen würde, bis hin zur Gefährdung der
öffentlichen Ordnung –, sich andererseits überaus unbeliebt machte, betrachtete er als Geburtshilfekunst (der Erkenntnis des Guten [Maieutik]).

Sympathisch macht den großen Philosophen nicht zuletzt der sog. sokratische Irrtum: Sokrates war davon überzeugt, dass, wer um das Gute weiß, es auch
notwendigerweise tut und dass umgekehrt alle, die Böses tun, dies nur deshalb fertigbringen, weil sie das Gute nicht kennen – gibt es eine schönere Utopie
vom Menschen ?

Ai Weiei – "All I ask for is a normal life"

Als regimekritischer Künstler steht der Konzeptkünstler, Bildhauer und Kurator Ai Weiwei heute für die Verletzungen der Meinungsfreiheit in China.
Wegen seines politischen und gesellschaftlichen Engagements und seiner ebenso politischen Aktionskunst war er regelmäßig Repressalien durch chinesische Behörden
und die Polizei ausgesetzt. 2011 wurde er für 81 Tage inhaftiert und erhielt Ausreiseverbot. Auf diese Zeit bezieht sich der Titel der Bronzestatue von Richard Hillinger.
Nach seiner Befreiung im Juli dieses Jahres löste er im August unter chinesischen Bürgerrechtlern Irritation und Ratlosigkeit aus und wurde von der Presse scharf
kritisiert. In einem Interview in München sprach er über das Leid der Unfreiheit, zeigte unerwartet aber auch Verständnis für das chinesische Regime.
Sein Ausspruch "All I ask for is a normal life" (zu dt.: Alles worum ich bitte, ist ein normales Leben führen zu dürfen) mag nach Verrat an seinen einstigen
Idealen klingen, doch verständlich und menschlich ist er nach all dem Erlittenen – das, wovon wir wissen und vieles, wovon wir nichts wissen – allemal.

In unserer Studioausstellung treten beide Statuetten nicht nur in den Dialog miteinander und mit Ihnen, den Besuchern des Badischen Landesmuseums. Vielmehr
haben wir das Zwiegespräch um eine weitere Installation von Kira Kokoska ergänzt. Eine Kugel aus Metallgeflecht, in dem Symbole für die Äußerung der
Meinungsfreiheit über Jahrhunderte und Kulturen hinweg, wie Kokons in einem Körbchen aus Drahtgeflecht, eingespeist sind: eine Schreibfeder, ein Buch,
Ostraka (griechische Tonscherben, die an das Scherbengericht, also an das Verfahren im attischen Athen erinnern, unliebsame oder zu mächtige Bürger aus
dem politischen Leben der Stadt zu entfernen), eine Filmrolle, ein Pantoffel (das Werfen des Schuhs auch das Vorzeigen der Schuhsohle gilt in vielen Ländern
des Nahen und Mittleren Ostens als Unmutsbezeugung) oder etwa die Zeitung Charlie Hebdo. Die Kugel, als Symbol für die weltumspannende Relevanz der
Meinungsfreiheit, darf mit Stoffläppchen oder mit Papieretiketten – Sinnbild für Votivbänder aller Art – behängt werden. Unsere Besucher sind aufgefordert,
an dem Solidaritätsprojekt mitzuwirken, indem Sie Ihre Meinung auf diese schreiben und sie an die Kugel anbinden.

Am Ende soll die Kugel behängt sein wie ein Wunschbaum, der in vielen Teilen der Welt an seinen bunten, im Wind flatternden Stoffanhängern zu erkennen ist.
Ein in der Regel lebender Baum, der an öffentlichen, meist heiligen Orten der Vergangenheit positioniert wird, und an dessen Zweigen die Menschen ihre Wünsche,
Anregungen, Sorgen oder sonstige Gedanken, meist zu einem bestimmten Thema und in Form von beschriebenen Wunschzetteln, anbringen können.

Verstehen auch Sie diese Kugel als Symbol für einen Wunschbaum und knüpfen Sie Ihre Gedanken und Wünsche daran an! Machen Sie mit, damit wir zum 25. Jahrestag
der Deutschen Einheit nicht vergessen, wie kostbar die Freiheit der Rede ist, was sie bewirken, welche Mauern – sogar reale – sie zum Einsturz bringen kann,
wenn sich Menschen selbst in aussichtslos erscheinenden Zeiten solidarisch zusammentun und für ein gemeinsames Ziel kämpfen.

Dr. Schoole Mostafawy, 2.10.2015



" wenn ich Palamedes träfe und Ajas den Telamonier und wer sonst noch aus der Vorzeit durch ein
ungerechtes Urteil ums Leben kam, und wenn ich dann mein Schicksal mit ihrem vergliche -
das wäre, glaube ich, ganz und gar nicht unangenehm...",
Platon
Apologie des Sokrates

"Der Oasenmann",
bekannt auch als "Der beredte Bauer", ist der Protagonist eines Literaturwerks aus dem alten Ägypten,
über dessen Schicksal der antike Autor sein zentrales Anliegen vermittelt:
die Suche nach einer gerechten Ordnung des menschlichen Zusammenlebens.

Diese Stimme aus ferner Zeit lädt ein zum Dialog mit der Antike und mahnt uns, nicht zu vergessen,
dass Gerechtigkeit immer wieder neu errungen werden muß.
Dahinter steht die altägyptische Überzeugung, daß man das Unrecht nie besiegen, sondern nur zurückdrängen kann,
und zwar durch einen ununterbrochenen Kampf für die Gerechtigkeit.
Die Bereitschaft, an diesem Kampf auf Seiten der Gerechtigkeit
teilzunehmen, ist auch heute noch nicht soweit verbreitet, wie es nötig wäre.
Uns ist zu wenig bewußt, daß dieser Kampf integraler Bestandteil des Leben ist. Wir vertrauen allzu sehr auf die Institutionen
der Gerechtigkeit und glauben, mit deren Einrichtung und
einigen Erfolgen wäre bereits ein endgültiger Sieg errungen - eine gefährliche Illusion."

Prof. Dr. Dieter Kurth
Universität Hamburg - Archäologisches Institut

Laudatio anlässlich der Verleihung des Menschenrechtspreis an
Bundespräsident Prof. Dr. Roman Herzog

Der Oasenmann
Philip von Zabern, ISBN 3-8053-3084-7